Haus Siebenbürgen Wohn- und Pflegeheim

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Gedenkfeier zur Deportation der Siebenbürger Sachsen

(16.01.2020) Rumänien hatte 1944 mit der UdSSR einen Vertrag abgeschlossen, nach dem das Land eine hohe Zahl von Arbeitern als Reparation stellen musste. In erster Linie wurden die in Rumänien lebenden Deutschen ergriffen. Rund 30 000 Siebenbürger Sachsen wurden zur Zwangsarbeit nach Russland deportiert: Frauen im Alter von 18 bis 30 Jahren, Männer von 17 bis 45 Jahre. Nur Mütter, die ein Kind unter einem Jahr hatten, wurden verschont. Über 3000 der Deportierten starben.


Von Links: Emma Hubbes, Edith Foith, Martha Depner, Maria Bock und Regina Hertel - Fotos: Christian Melzer

Zwölf der Frauen und Männer, die das Leid und die Strapazen in den Lagern überlebt haben, wohnen in Drabenderhöhe. Fünf von ihnen nahmen an einer würdevollen Gedenkfeier teil, die am Sonntag, 12. Januar, in der Kapelle des Altenheims stattfand: Emma Hubbes, Edith Foith, Martha Depner, Maria Bock und Regina Hertel. Die anderen sind: Martin Seimen, Katharina Fleischer, Johann Schuller, Martin Klatt, Andreas Kartmann, Anna Schneider, Hilde Camman.


Anita Gutt

„Die Ereignisse von vor 75 Jahren dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Sie sind ein grausames Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ Mit diesen Worten eröffnete Anita Gutt in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende eine Gedenkfeier, die an eines der traurigsten Kapitel in der Geschichte der Deutschen in Rumänien erinnern sollte. Eingeladen dazu haben die Kreisgruppe Drabenderhöhe, Verband der Siebenbürger Sachsen, Adele-Zay-Verein und das Haus Siebenbürgen eGmbH (Altenheim).


Rainer Lehni

Rainer Lehni, Bundesvorsitzender Verband der Siebenbürger Sachsen, betonte, dass man es der nachfolgenden Generation schuldig sei, dieses Ereignis wach zu halten, da es als eines der schlimmsten in die Geschichte der Siebenbürger eingegangen sei, Ergreifende Stille herrschte als die Ehrenvorsitzende Enni Janesch aus Tagebuchaufzeichnungen von Betroffenen vorlas. Rose Schmidt sammelte in einem Buch „Das große Leid“ Erlebnisberichte von 50 Deportierten und stellte fest: „Nicht anklagend oder abrechnend, sondern mahnend, Toleranz anderen Menschen, anderen Nationen gegenüber fordernd, schreiben wir, damit nie wieder Menschen durch Menschen ein so großes Leid zugefügt wird.“ Auch die Bevölkerung des Landes hungerte, konnte wenig helfen. Dennoch berichteten viele Deportierte von der Hilfsbereitschaft der russischen Bevölkerung. „Alle Kraft musste mobilisiert werden, um zu überleben“, sagte Janesch, „doch viele schafften es nicht“. Aber mit Optimismus, Zuversicht, einen festen Glauben an Gott und die stete Hoffnung auf eine Rückkehr in die Heimat gelang es die schweren Jahre zu überstehen.


Enni Janesch

„Nach dem heutigen Stand der wissenschaftlichen Forschungen weiß man: Die Deportation der Deutschen aus Rumänien in die Sowjetunion beruhte auf keiner vertraglichen Abmachung der Alliierten mit Rumänien und war ein ausgesprochener sowjetischer Gewaltakt, der gegen das Kriegs- und Völkerrecht verstieß und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellte“, sagte Janesch.


Markus van Breen

Markus van Breen, Geschäftsführer Haus Siebenbürgen, sprach über die Jahreslosung 2020 „Ich glaube, hilf meinem Unglauben“ (Markus 9.24), Worte die ein verzweifelter Vater Jesu zuschrie, weil sein Sohn schwer krank war und er Hilfe suchte. Jesus antwortete: Alle Dinge sind möglich, dem der da glaubt.“ Dieser Glaube habe auch den Menschen vor 75 Jahren geholfen. Van Breen bat die Gäste sich zu einer Gedenkminute zu erheben. Dazu läutete vom Turm der Erinnerung die Heimatglocke, die jedes Jahr am 13. Januar um 17 Uhr zum Gedenken an die Opfer von Hunger und Gewalt erklingt.


Honterus Chor


Heidrun Niedfeld (Klavier) und Carina Göckel (Klarinette)

Im Viehwaggon nach Russland deportiert

Drabenderhöhe/Hermannstadt/Heldsdorf. 13. Januar 1945: Morgens 6 Uhr. Fäuste hämmern an die Tür, alle werden aus dem Schlaf gerissen. Als der Ehemann und Vater von drei Kindern öffnet, stürmen bewaffnete Soldaten, Russen und Rumänen, an ihm vorbei ins Haus, bellen Befehle. Sie sind gekommen, um den Hausherrn zu holen. Er soll zur Zwangsarbeit nach Russland deportiert werden.

Zitternd steht Martha Depner, geborene Tittes, im oberen Stockwerk, beobachtet das Ganze. Die 21jährige stammt aus Heldsdorf, ist gelernte Sozialarbeiterin und kümmert sich um den Nachwuchs des Hauses. „Die Soldaten sahen mich, fragten nach meinen Papieren und brüllten: Du hast dich hier also versteckt! „Dann musste ich meinen Rucksack packen, erhielt einen Schlag in den Rücken, fiel fast die Treppe runter.“ Sie wird, wie Hunderte von Menschen zur Sammelstelle in die Turnhalle gebracht.

Emma Hubbes, geborene Neudörfer, wohnt noch in ihrem Elternhaus in Heldsdorf, als an jenem Tag ebenfalls Soldaten ins Haus stürmen. Sie nehmen die 18jährige sowie ihre Schwestern Katharina und Klara mit. Noch in der Nacht werden die Frauen in Viehwaggons gesperrt. „Morgens setzte sich der Zug in Bewegung. Wir wurden mit über 40 Männer und Frauen in einen Waggon gequetscht.“ Zwei Wochen dauert die Fahrt, keiner weiß, wo es hingeht. Angst und Hunger begleiten sie. Die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal. Es gibt kein Wasser zum Waschen. Trinkwasser wird in eine Konservendose geschüttet, ab und zu gibt’s einen Löffel Hirsebrei. Ein WC? Nicht vorhanden. Depner: „Beim ersten Halt kam ein Soldat und schlug mit der Axt ein Loch in den Boden des Waggons, dass die Fetzen flogen. Dann hockte er sich drüber, zeigt, das ist jetzt ein WC. Das war entwürdigend und wir schämten uns, jeder konnte zusehen.“ „Einmal ging die Waggontür auf und es wurde ein Haufen roher Rippchen reingeschmissen. Ich weiß nicht, wer sie gegessen hat, es war so eklig, aber sie waren bald weg“, sagt Martha Depner.
3. Februar 1945: Endstation für Martha Depner ist das eingezäunte Lager Nr. 520 in Enakievo/Donbass (Stalingrad). „Es war mein 22. Geburtstag“ sagt Depner. „Wir wurden registriert, unsere Papiere einbehalten, fühlten uns Vogelfrei.“ Emma Hubbes und ihre Schwestern werden zu Aufbauarbeiten ins Lager Makievka/Stalino gebracht. Sie müssen auf Strohsäcken schlafen, die Pritschen waren nicht fertig. Auf Depner warten Eisenbetten, ohne Matratzen. Die Frauen deckten sich mit ihren Mänteln zu. An Schlaf war in den Lagern kaum zu denken: Läuse, Wanzen oder Krätze hielten alle auf Trab. Bewaffnete Männer begleiteten die Frauen zur Arbeit. Während die Schwestern Steine klopfen müssen, wird Depner für die schwere und gefährliche Arbeit an mächtigen Hochöfen eingeteilt. Hier werden Blöcke für Panzerstahlplatten gefertigt. „Das Eisen musste geschmolzen werden bis es wie Sahne in die Formen lief“, erzählt Depner.

„Draußen herrschten minus 20 Grad, wenn wir steif gefroren reinkamen, versuchten wir uns zu wärmen. Einmal bin ich zu nah an die Blöcke gekommen, der Stoff an einem Hosenbein brannte weg. Zwei lange Haare von ihr werden zu Nähgarn und aus einem Stoffbeutel das neue Hosenbein. Hunger quält alle: Für die schwere Arbeit am Hochofen erhält Depner täglich 1000 Gramm Brot, Männer 1200, die anderen Frauen nur 700 Gramm. Kranke, die auch das Lager putzen müssen, bekommen nur 300 g. Dazu monatelang täglich ein Schlag Sauerkrautsuppe.

Im Frühjahr wird Depner „zur Erholung“ auf einer Kolchose eingesetzt. Die Hitze, Kälte und der Feinstaub haben sie krank gemacht. Auf einer Wiese lebt sie mit vier Mädchen in einem Erdloch. „Dort krochen wir zum Schlafen rein, wärmten uns gegenseitig.“ Auch hier gab´s nur Sauerkrautsuppe. Martha Depner wiegt noch 35 Kilo als sie im Oktober 1946 aus gesundheitlichen Gründen aus dem Lager entlassen wird. Der Zug bringt sie nach Frankfurt/Oder. Die junge Frau wird auf zwölf Jahre geschätzt, kommt zu einem Bauern ins Magdeburger Land, sagt: „Das waren Menschen wie Engel!“ Ihr Magen, der „nur noch aus Sauerkrautsuppe bestand“, musste erst wieder lernen andere Nahrung aufzunehmen. Im August 1949 heiratet sie in Österreich ihren Schulfreund Helmut Depner, dem sie drei Söhne gebar. Bevor sie 1966 nach Drabenderhöhe zogen, wohnten sie 14 Jahre im Elsaß.

Emma Hubbes erlitt beim Steine schleppen eine Verletzung an der Wirbelsäule, erkrankte außerdem an Malaria, so dass sie nach elf Monaten die Heimreise antreten konnte. Bis zur Heirat mit Hermann Hubbes arbeitete sie in der Gastwirtschaft ihres Vaters. Ihre Schwester Klara sah sie nie wieder. Sie starb im Lager an TBC. Katharina wurde erst fünf Jahre später nach Hause entlassen. Seit 1992 wohnt Hubbes mit Sohn und Schwiegertochter in Drabenderhöhe.

Enni Janesch wuchs ohne Eltern auf

Der 13. Januar 1945 war der vierte Geburtstag von Enni Janesch, geborene Kellner. Es war der Tag, an dem sich für das kleine Mädchen alles ändern sollte. Ihre Mutter Anna Kellner wurde ebenfalls abgeholt, nach Reps ins Sammellager später nach Russland gebracht. Der Vater war im Krieg. Erst 1958 sah die heutige Ehrenvorsitzende der Drabenderhöher Kreisgruppe die Eltern wieder. An diesen schicksalshaften Tag vor 75 Jahren, der viele Mütter und Väter für viele Jahre von ihren Kindern trennte, kann Janesch sich kaum noch erinnern. „Ich weiß nur, dass mein Großvater mich mit dem Pferdewagen nach Reps brachte, damit ich mich von meiner Mutter verabschieden konnte. Fast alle Kinder aus meiner Klasse in dem Örtchen Stein (Kreis Kronstadt) sind ohne Eltern geblieben. „Ich hatte Glück, bin liebevoll und gut behütet bei den Großeltern aufgewachsen. Aber kein Kind wurde seinem Schicksal überlassen, Verwandte, Onkel und Tanten nahmen es bei sich auf. Manchmal war es auch eine Nachbarin, die sich um verlassene Kids kümmerte. Es gab damals noch eine intakte Gemeinschaft, alle haben geholfen. Aber, die Kinder haben gelitten, manche haben es gar nicht verkraftet. Viele von ihnen brachten später nicht das Wort Mutter oder Vater über die Lippen, weil sie ihnen fremd geworden waren.“

1947 wurde Janesch Mutter aus dem Lager Petrovka entlassen und nach Frankfurt/Oder gebracht. Der Vater war in Österreich in amerikanischer Gefangenschaft. Anna Kellner, die sich auf einem Bauernhof bei Magdeburg von den Folgen der Deportation erholte und wieder hochgepäppelt wurde, machte sich später auf den Weg zu ihrem Mann, ist zu Fuß über die Alpen gelaufen. Im Januar 1949 bekam Enni Janesch eine Schwester, die sie im Januar 1958 zum ersten Mal sah. „Meine Eltern, die im Rahmen der Bergbauaktion 1953 ins Ruhrgebiet übersiedelt waren, haben sich immer darum bemüht, dass ich zu ihnen kommen kann.“ Nach Siebenbürgen konnten sie nicht zurückkehren, sie wären sofort verhaftet worden. Janesch verschweigt nicht, dass Anfangs alles sehr schwer war. Ich war 17 Jahre alt, kannte meine Eltern nicht. Aber auch das späte Wiederfinden und zueinander finden erfülle sie noch heute mit Dankbarkeit.

Ursula Schenker